Die Wahlen zum EU Parlament am 26. Mai 2019 waren gekennzeichnet durch einen Wettbewerb um ein dominierendes Thema. In verschiedenen Ländern haben unterschiedliche Themen die Oberhand gewonnen. In Westen Deutschlands war es die Klima-Katastrophe der Grünen, im Osten Deutschlands "das Deutschnationale" der AFD. In Großbritannien war es der "Brexit", in Italien das "Italien-first" nach Trumpschem Muster. Ihnen haftet etwas Gemeinsames an: das Versprechen einfacher Lösungen und die Verunglimpfung von Andersdenkenden.
Wir - die CDU - haben diesmal den Kampf um dominierende Themen und damit die Wahlen verloren. Zu den Ursachen der Niederlage im Kampf um Themen gehören drei Aspekte.
Zum einen haben wir nicht genug Mut gehabt, und vielleicht auch nicht die sachlichen Argumente vorgebracht, um das in der Realität Notwendige und Machbare gegen verdummende, grobe Vereinfachungen zu halten. Der Kampf gegen die Erderwärmung ist eben nicht das einzige Thema, dem sich alles unterzuordnen habe. Andere aktuelle Probleme sind alles Andere als nachrangig oder nebensächlich. Dazu gehören etwa die weltweiten Flüchtlingsbewegungen, die Versorgung von Hunderten von Millionen Menschen mit Trinkwasser, die zunehmenden Bedrohungen für den Frieden, und die Notwendigkeit, sich auf die sich verschiebenden globalen Kräfteverhältnisse, z.B. durch den Aufstieg Chinas, einzustellen.
Welche Umwälzungen und Opfer in wie kurzer Zeit können wir denn den jetzt lebenden Menschen zumuten, ohne dass es zu politischer Radikalisierung bis hin zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt? Auch ist es unverfroren, den politisch Verantwortlichen immer wieder vorzuwerfen, seit dreißig Jahren nichts getan zu haben. Ganz im Gegenteil: Die Abschaltung der Atomkraftwerke, der Kohleausstieg, die Kapitalvernichtung durch die Anti-Diesel-Kampagne sind gewaltige umweltpolitische und sehr kostspielige Anstrengungen - mit noch keineswegs eindeutig positiven Ergebnissen.
Zum anderen haben wir, zweitens, nicht den Mut gehabt, die sprachlichen Entgleisungen und Verunglimpfungen scharf und klar zurückzuweisen. In seinem Video beginnt der Youtuber Rezo mit (Zitat) "Fuck, ist das heftig", um dann fortzufahren, er werde zeigen, dass die CDU sich an Kriegsverbrechen beteiligt, lügt, grundsätzlicher Kompetenz entbehrt, gegen den Rat von Tausenden von Wissenschaftlern handelt, Propaganda gegen die Jungen mache, usw.
Das ist keine Nebensache, oder eben nur eine Frage modernen Stils. Es sind vielmehr schwere, verletzende Anschuldigungen. Selbstverständlich, wenn das stimmte, wäre es eine vernichtende Kritik der CDU und ihrer Politik. Aber wenn es nicht stimmt, dann handelt es sich um unverschämte, widerwärtige Verunglimpfungen. Es ist ein Fehler, sich dann auf windelweiche Kommentare zurückzuziehen, der Youtuber habe einige interessante Fragen aufgeworfen. Die verunglimpfende und gehässige, mit Kraftausdrücken gespickte Sprache hat nur das Ziel, den Gegner zu diskreditieren und zu entwürdigen. Das gehört scharf und klar zurückgewiesen. Auf der Straße, wie jeder weiß, würden solche Pöbeleien unweigerlich in Schlägereien enden.
Und schließlich haben wir versäumt, herauszustellen, dass keine der großen Bedrohungen unserer Zeit für Frieden, Umwelt, Freiheit, Gesundheit und Wohlstand sich national lösen lässt. Man muss die Europäische Union von außen sehen, um zu begreifen, wie existentiell wichtig es ist, dass wir in Europa zusammenarbeiten, und unsere Interessen und Werte gemeinsam vertreten und schützen.
Was wir brauchen, ist eine überzeugende Argumentation, welches von christlich-demokratischen Grundsätzen ausgehend, die Komplexität gegen verdummende Vereinfachung stellt, das Machbare in der Wirklichkeit vor die Absolutheitsansprüche von Weltverbesserern fordert, und auf Respekt und Kompromiss als die Essenz verantwortungsvollen politischen Handelns besteht.
(veröffentlicht im Rhein-Sieg-Journal der Seniorenunion)
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